Hanna Brungs

MyStory Hanna Brungs
© Hanna Brungs
MYSTORY mit …

Hanna
57 Jahre, kreis euskirchen

„Ich war sehr lange auf der Suche nach mir
selbst und habe das zeitweise mit der Suche
nach anderen, materiellen Dingen verwechselt…“

Veröffentlicht: März 2023

Nacht der erkenntnis.

Es hat 47 Jahre gedauert, bis mein Leben überhaupt erst Sinn gemacht hat. Denn so lange brauchte es, bis ich in der Lage war, mir einzugestehen, dass da schon immer etwas sehr Essentielles nicht stimmte. Was das war, habe ich aber tatsächlich erst dann vollumfänglich verstanden.
Seitdem verstehe ich mein Leben, rückwärts betrachtet und vorwärts gelebt, überhaupt erst richtig!

Als Kind war das Bewusstsein, dass ich anders bin, zwar schon da, aber es war eher ein Hintergrundrauschen. Mit der Zeit häuften sich jedoch diese Erlebnisse, Begegnungen und Gedanken, die sich immer so unpassend angefühlt haben und die ich nicht richtig einordnen konnte. Diese Dinge zogen sich wie ein roter Faden durch mein Leben und erst im Nachhinein habe ich sie wirklich verstanden.

Als ich beispielsweise das erste Mal lackierte Fußnägel hatte – lange vor meinem inneren Outing – dachte ich nicht: „Oh, wie schön“, sondern „jetzt sieht das endlich mal richtig aus!“ Ich habe mich in der gleichen Sekunde noch über diesen Gedanken gewundert und nicht wirklich verstanden, wo er denn nun herkam.

Solche Erlebnisse gab es viele, alle irgendwie klein und unbedeutend, aber in der Summe absolut selbsterklärend.

Mit ungefähr 15 Jahren war ich, so sehe ich es heute, sehr nah dran, zu kapieren, was mit mir los ist. Ich habe zum Beispiel regelrecht darauf gewartet, dass sich meine Figur auch so entwickelt, wie bei meinen Freundinnen und mich gewundert, warum das nicht so ist. Wenn ich jetzt zurückblicke, war es recht deutlich. Aber damals konnte und wollte ich nicht weiter graben…

Viele Jahre später kam es dann zu meiner – wie ich sie nenne – „Nacht der Erkenntnis“. Die Nacht, an der alle Puzzlesteine meines Lebens endlich an den richtigen Platz gefallen sind. Die Nacht, in der ich dann verstehen musste, dass ich eine Frau bin und das immer schon gewesen bin. Diese Nacht, in der alles plötzlich und vollumfänglich einen Sinn ergeben hat. Einerseits war es schlicht großartig, endlich die Erklärung zu haben, für all das, was mich Jahrzehnte lang bewegt hat: „Hanna, du bist eine Frau und warst das immer schon. Vom ersten Tag deiner Geburt an hast du schon immer gedacht, gehandelt und gefühlt wie eine Frau.“ Andererseits war die Realisierung, in Wirklichkeit eine Frau zu sein, extrem schwierig zu meistern und ich pendelte zwischen Euphorie und Suizidgedanken hin und her! Das Thema „trans*“ stand vorher schon im Raum, aber ich wollte einfach nicht wahrhaben, dass auch ich trans* bin.

Und natürlich begleiteten mich dennoch Zweifel, so habe ich mir oft gesagt: „Du spinnst doch! Du bist doch krank!“. Deswegen habe ich es als ganz besonders empfunden, dass es nach meinem Outing einige Menschen gab, die mir sagten:

„Mensch Hanna, es wurde aber auch Zeit, dass du es selbst verstehst“!

Das half mir, diese allgegenwärtigen Zweifel in den Griff zu bekommen.

Die Reaktionen in meinem restlichen Umfeld waren bunt gemischt. Meine Eltern haben nichts davon erfahren, dass ihr vermeintlicher Sohn in Wirklichkeit eine Tochter ist, da sie bereits vor meinem Outing verstorben sind. Ich könnte auch nicht annähernd einschätzen, wie sie damit umgegangen wären. Ein Teil meiner Familie hatte die größten Umgangsschwierigkeiten damit und es wurde versucht, das Thema komplett auszublenden. Erst Jahre nach meinem Outing haben sie begonnen, sich mit der Situation wirklich auseinanderzusetzen. Heute ist alles gut, aber der Weg dahin war lang und schmerzhaft.

Gleichzeitig musste ich auch für mich einige wichtige Dinge klären. Mein internes Outing war das eine, aber wie sollte ich das umsetzen – insbesondere auf der Arbeit? Am Anfang glaubte ich noch, ich könne das aus meinem beruflichen Alltag komplett heraushalten, weiterhin so tun, als wäre ich ein Mann und mein wahres Ich eben nur in der Freizeit ausleben. Wie naiv ich damals noch war… Ich habe mir dann relativ zeitnah eine neue Arbeitsstelle gesucht. Natürlich habe ich mich dann aber auch gleich als die Frau beworben, die ich bin. Es hat ein wenig gedauert, aber heute bin ich schon knapp 8 Jahre bei meinem jetzigen Arbeitgeber, und habe vor etwa 2 Jahren meine jetzige Position übernommen.

Ich habe rückblickend für mich gemerkt, erst seitdem ich ich bin, mache ich so etwas wie Karriere. Ich habe immer gewusst, dass ich eine gute Mitarbeiterin bin, konnte aber nie so wirklich für mich einstehen. Seit 8 Jahren arbeite ich offen als Frau und finde es wirklich erstaunlich, wie weit ich beruflich schon gekommen bin. Von der Night-Auditlerin innerhalb von ein paar Wochen zur Empfangsleitung und Serviceleitung, danach Standortleitung mit einem Team von 21 Mitarbeiter_innen und nun in meiner Traumrolle.

Ich resümiere das für mich so: Ich musste erst verstehen, dass ich eine Frau bin, um genau so selbstsicher auftreten zu können, wie Männer das ja üblicherweise tun.

Mein Outing und meine Transition haben natürlich nicht nur Veränderungen auf der Arbeit mit sich gebracht, sondern auch in der Beziehung zu meiner Frau. Wir sind nun seit über 27 Jahren zusammen und wir haben für uns feststellen dürfen, dass trotz der Veränderungen und trotz der unruhigen Zeit während meiner Transition, unsere Beziehung an Qualität und Tiefe gewonnen hat! Die allermeisten, die uns noch von früher kennen, akzeptieren uns einfach so, wie wir sind und sollte es doch irgendwann mal zu Nachfragen kommen, ist unsere Message: Liebe kennt kein Geschlecht!

Ich kann heute sagen: Ich bin angekommen!

Ich war sehr lange auf der Suche nach mir selbst und habe das zeitweise mit der Suche nach anderen, materiellen Dingen verwechselt – und ich musste feststellen, dass diese Dinge mich eben nicht wirklich glücklich machten. Das wahre Glück habe ich in mir gefunden und erst seitdem ich mich selbst gefunden habe, weiß ich, was Glück wirklich bedeutet!

Hanna, vielen Dank für YourStory!