Interview mit Dr. Jean-Luc Vey zum Nominierungsstart der PROUT PERFORMER-Listen

„Listen, wie PROUT PERFORMER, zeigen, dass es möglich ist, offen mit Sexualität und Geschlechteridentität umzugehen und gleichzeitig erfolgreich im Beruf zu sein.“

Hallo Jean-Luc. Danke schon einmal für deine Zeit und deine Bereitschaft für dieses Interview. PROUT AT WORK veröffentlicht in diesem Jahr zum ersten Mal die neuen PROUT PERFORMER-Listen. Wie kommt es dazu?

 

Jean-Luc Vey: Zuerst einmal möchte ich mich bei allen Beteiligten an den GERMANY’S TOP 100 OUT EXECUTVES bedanken, die die Liste über die letzten drei Jahre so erfolgreich gemacht haben. Das sind vor allem die Vorbilder, die es auf eine der Listen geschafft haben, aber auch alle, die sich haben nominieren lassen. Außerdem bedanke ich mich bei jenen, die ihre Kolleg_innen und Kontakte nominiert haben. Ein besonderer Dank gilt aber vor allem auch der Jury und unseren Kooperationspartner_innen.

Sie haben damit alle einen großen Teil zur Sichtbarkeit der LGBT*IQ-Community in Deutschland beigetragen. Denn die Listen haben gezeigt, dass es möglich ist, im Berufsalltag offen zu seiner sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität zu stehen, ohne negative berufliche Konsequenzen zu erfahren. Die Platzierten fungieren mit ihrem Engagement für die Gleichberechtigung und Chancengleichheit von LGBT*IQ am Arbeitsplatz damit als Rollenbilder für die ganze LGBT*IQ-Community und darüber hinaus.

PROUT AT WORK hat die Zusammenarbeit mit unserem Kooperationspartner zum Jahreswechsel beendet. Uns liegt aber das Thema Sichtbarkeit für LGBT*IQ in der Arbeitswelt immer noch sehr am Herzen. Daher haben wir entschieden, die Listen unter neuen Namen fortzuführen, weiterzuentwickeln und in diesem Jahr allein zu veröffentlichen. Out am Arbeitsplatz zu sein soll die Regel und keine Ausnahme sein. Dafür werden wir uns auch in Zukunft mit unseren vielfältigen Projekten einsetzen.

Warum sind derartige Listen so wichtig?

 

Jean-Luc Vey: Wie bereits angedeutet geht es dabei vor allem um Sichtbarkeit. Immer noch belegen Studien, dass viele LGBT*IQ-Studierende sich nach ihrem Start ins Berufsleben wieder verstecken, aus Angst, dass ihr Outing negative Auswirkungen auf ihre Karriere hat. Listen, wie PROUT PERFORMER, zeigen, dass es möglich ist, offen mit Sexualität und Geschlechteridentität umzugehen und gleichzeitig erfolgreich im Beruf zu sein. Das gibt anderen Menschen das nötige Selbstvertrauen, sich ebenfalls zu outen. Und das ist wiederrum erwiesenermaßen mit positiven Effekten auf die Psyche und auf die Produktivität am Arbeitsplatz verbunden.

Was ist denn der Unterschied der PROUT PERFORMER-Listen zu den ehemaligen TOP 100 OUT EXECUTIVE Listen?

 

Jean-Luc Vey: Um die PROUT PERFORMER-Listen noch attraktiver zu gestalten haben wir im ersten Schritt begonnen, eine Umfrage unter alten Platzierten durchzuführen, um herauszufinden, an welchen Stellen noch Verbesserungspotenzial gesehen wird. Dieses Feedback haben wir uns in der anschließenden Konzeption zu Herzen genommen und in die Gestaltung der neuen Listen einfließen lassen. Daher haben wir bei den PROUT PERFORMERN-Listen die verschiedenen Kategorien stärker voneinander abgegrenzt und so beispielsweise eine eigene Liste für KMUs geschaffen. Aber auch Executive Allies werden nun auf einer Liste gewürdigt. Eine weitere Besonderheit ist, dass wir nur noch die obersten Plätze der Liste mit gesonderten Rängen ausweisen, da wir keine Konkurrenz zwischen den einzelnen Platzierten schaffen möchten.

Warum dann aber die oberen Plätze trotzdem mit Rangfolge?

 

Jean-Luc Vey: Das liegt daran, dass es dennoch einige Personen gibt, die sich im vergangenen Jahr ganz besonders herausragend für die LGBT*IQ-Chancengleichheit am Arbeitsplatz eingesetzt haben – durch wichtige Initiativen, neue Projekte oder sonstige Aktivitäten. Diesen möchten wir durch die Hervorhebung an der Spitze der Liste noch einmal besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen.

Welche Rolle spielt dabei die PROUT PERFORMER-Jury?

 

Jean-Luc Vey: Auch mit der Jury sind wir vorher ins Gespräch gegangen. Wir sind stolz darauf, wieder derart hochkarätige Personen für die Sache zu gewinnen. Doch uns ist auch bewusst, dass durch ihre wichtige Position in ihren Unternehmen oft die Zeit fehlt, jeden Kandidaten einzeln zu bewerten – das kam auch im direkten Feedback heraus.

Daher erfolgt in diesem Jahr die erste Bewertung durch die PROUT AT WORK-Foundation, die anhand der übertragenen Informationen und Kriterien festlegt, wer einen Platz auf der Liste erreicht und wer durch seine besonderen Aktivitäten eine Chance auf einen der oberen Plätze erlangt. Diese werden dann gebeten, sich in einem Video der Jury vorzustellen, welche dann durch ihre Bewertung die oberen Ränge festlegt. So konnten wir uns die prominenten Jury-Mitglieder sichern und für die Nominierten dennoch einen attraktiven Bewertungsprozess gewährleisten.

Wie kann man seine Vorbilder für die PROUT PERFORMER-Listen nominieren?

 

Jean-Luc Vey: Eine Nominierung ist ab sofort über unsere Website möglich. Diese ist unter proutperformer.de erreichbar. Wir sind gespannt auf alle Einreichungen und freuen uns darauf, gemeinsam mit unserer Community mehr Sichtbarkeit für LGBT*IQ am Arbeitsplatz zu schaffen.

Danke Jean-Luc für dieses Interview!
Beth Brooke-Marciniak

„Mein Leben wandelte sich zum Guten; von einem Moment zum anderen von schwarz/weiß zu bunt. Nach 52 Jahren.“

Schon zum dritten Mal in Folge waren Senior Executives bedeutender deutscher und internationaler Wirtschaftsunternehmen und –institutionen der Einladung des PROUT AT WORK-Netzwerkes in die Bankenmetropole Frankfurt am Main gefolgt um sich beim DINNER BEYOND BUSINESS in lockerer Atmosphäre und bei einem erstklassigen Abendessen über die Potentiale und Wege zu einer offenen, vielfältigen und diskriminierungsfreien Arbeitswelt auszutauschen.<br>Darunter waren Vertreter_innen von Continental, BASF, Vattenfall, Coca Cola, Thyssenkrupp, der Europäischen Zentralbank und SAP. In diesem Jahr war es dabei gelungen mit Beth Brooke-Marciniak eine der 100 einflussreichsten Frauen der Welt als Keynote-Speakerin zu gewinnen und mit ihr in einem ungezwungenen Face-to-Face-Dialog, der viele einfühlsame Einblicke und beeindruckende Aussagen zuließ, vor dem spektakulären Ausblick von Deutschlands höchstem Wolkenkratzer ins Gespräch zu kommen.

Mutig“. Dieses Wort kommt einem zwangsläufig in den Sinn, wenn man Beth Brooke-Marciniak, Global Vicepresident Public Policy und Vorstandsmitglied beim global operierenden Beratungshaus EY (Ernst & Young), beim Kamingespräch mit PROUT AT WORK-Vorstand Albert Kehrer zuhört.

Schon zum dritten Mal in Folge waren Senior Executives bedeutender deutscher und internationaler Wirtschaftsunternehmen und –institutionen der Einladung des PROUT AT WORK-Netzwerkes in die Bankenmetropole Frankfurt am Main gefolgt um sich beim DINNER BEYOND BUSINESS in lockerer Atmosphäre und bei einem erstklassigen Abendessen über die Potentiale und Wege zu einer offenen, vielfältigen und diskriminierungsfreien Arbeitswelt auszutauschen.
Darunter waren Vertreter_innen von Continental, BASF, Vattenfall, Coca Cola, Thyssenkrupp, der Europäischen Zentralbank und SAP.

In diesem Jahr war es dabei gelungen mit Beth Brooke-Marciniak eine der 100 einflussreichsten Frauen der Welt als Keynote-Speakerin zu gewinnen und mit ihr in einem ungezwungenen Face-to-Face-Dialog, der viele einfühlsame Einblicke und beeindruckende Aussagen zuließ, vor dem spektakulären Ausblick von Deutschlands höchstem Wolkenkratzer ins Gespräch zu kommen.

Vorbilder – „Wer, wenn nicht ich?“

„Wie mutig“, denken die Zuhörer_innen im Saal also still in sich hinein, wenn Beth Brooke-Marciniak erzählt, dass sie die längste Zeit ihres Lebens nicht offen mir ihrer sexuellen Orientierung umgegangen sei.
Es war im Februar 2011, als sie an der Video-Kampagne „It Gets Better“ zur Ermutigung von LGBT*IQ-Teenagern teilnahm und sich spontan entschloss sich vor laufender Kamera als lesbische Frau zu outen.

„Was würde ich in diesem Video sagen, wenn ich wirklich ehrlich wäre“, hatte sie sich am Abend vorher selbst hinterfragt. „Ich hatte eine Botschaft zu überbringen, von der ich wusste, dass sie von Bedeutung ist.“

Ihre damalige Partnerin und auch sie selbst waren jedoch davon ausgegangen, dass das Outing das Ende ihrer Karriere bedeuten würde. Doch die Reaktionen auf ihre aufsehenerregende Offenheit waren das genaue Gegenteil. „Mein Leben wandelte sich zum Guten; von einem Moment zum anderen von schwarz/weiß zu bunt. Nach 52 Jahren.“
Doch nicht nur das. Ihre Offenherzigkeit änderte gleichzeitig auch die Art, wie in der Geschäftswelt über Diversity gedacht wird.
„Unsere Führungsebene war sehr stolz auf mich, ich bekam Anrufe und Emails von Jugendlichen und Eltern und bei einem der darauffolgenden öffentlichen Auftritte stehende Ovationen, die mich zu Tränen rührten.“

Mit ihrer spontanen Outing habe sie in diesem Moment mehr bewegt als jemals zuvor in ihrem Leben, erzählt Rolemodel Brooke-Marciniak. „Ich verstand es als meine Aufgabe und Verpflichtung. Wer sollte es tun, wenn nicht ich?“

Business Case – „Der Imperativ des Marktes“

Die besten Talente zu bekommen sei ein Aspekt der Business Case-Perspektive bei der Schaffung eines LGBT*IQ-wertschätzendes Arbeitsumfeldes, leitet Albert Kehrer den zweiten Schwerpunkt des diesjährigen Dinner-Gespräches ein und die EY-Chefin ergänzt: „Es geht um den Imperativ des Marktes. Wir müssen so divers wie unsere Kunden sein. Ob hinsichtlich der Funktionalität, der Qualität oder der Innovation – in der Gesamtsumme sind wir so überall besser.

„Untersuchungen zeigen, dass Unternehmen, die sich auf den Stellenwert von LGBT*IQ fokussieren, auch in allen anderen Bereichen von Inklusion und Diversity, beispielsweise in der Frauenförderung, gut aufgestellt sind.“

Eine große Hürde sei jedoch die schwierige Messbarkeit der Effekte von Maßnahmen für die Belange von Lesben, Schwulen und transidenten Menschen im Unternehmen.
„Ich weiß“, antwortet Brooke-Marciniak darauf, „in den meisten Ländern ist es nicht möglich sich im Unternehmen als LGBT*IQ zu identifizieren.“ Deshalb sei es schwer die Wirkung von LGBT*IQ-akzeptierender Unternehmenspolitik zu bewerten. „Das macht aber nichts. Denn wir wissen, dass sie einen Mehrwert bedeutet.“
Wer allerdings darauf verzichte, weil der Wert nicht messbar sei, der suche nach Ausreden.

Auf die pointierte Frage ihres Gesprächspartners, ob LGBT*IQ-Belange im Unternehmen tatsächlich notwendigerweise so hohe Priorität genießen müssten, antwortet Brooke-Marciniak wiederum entschieden: „Untersuchungen zeigen, dass Unternehmen, die sich auf den Stellenwert von LGBT*IQ fokussieren, auch in allen anderen Bereichen von Inklusion und Diversity, beispielsweise in der Frauenförderung, gut aufgestellt sind.“

Verbündete – „Die Welt verändern, Sicherheit geben“

Bei mittlerweile hereingebrochener Dunkelheit vor den Lichtern der Frankfurter Skyline eröffnet Kehrer das letzte Drittel des Kamingesprächs mit der Frage, warum es wichtig sei  als Unternehmen ein LBGT*IQ-Verbündeter zu sein. Immerhin unterstütze EY sowohl in Großbritannien als auch den USA diese Personengruppe im Unternehmen gezielt.

„Weil wir Werte haben“, gibt Brooke-Marciniak ohne zu zögern zurück. „Wir alle sind weltweit aktiv. Doch auf die Gesetze der einzelnen Länder haben wir keinen Einfluss. Viele davon laufen in die falsche Richtung, sind sogar rückwärtsgewandt und Populismus breitet sich aus. „Unsere Fußspuren können die Welt verändern.“

Auf Kehrers Frage wie der Einzelne sich im Unternehmen zum Verbündeten seiner LGBT*IQ-Kolleg_innen machen kann, zeigt das EY-Vorstandsmitglied Brooke-Marciniak eine Reihe von Handlungsmöglichkeiten auf: Zum Beispiel neugierig sein und keine Angst davor haben. Denn es gehe nicht nur immer um die konkreten Anliegen der lesbisch-schwulen-trans*-Bevölkerung, sondern um grundlegendes Verständnis. „Eines Tages kann es auch dich berühren.“
Erst neulich habe sie in Davos am Rande des Weltwirtschaftsforums mit einem dankbaren CEO gesprochen, dessen Tochter sich unlängst  als homosexuell geoutet habe. Die vorherige Auseinandersetzung mit Thema habe ihm dabei sehr geholfen.

Und es gebe den „Wow, sogar auch der“-Effekt, wenn Persönlichkeiten aus der Unternehmensspitze sich öffentlich als Verbündete der LGBT*IQ-Menschen in ihren Unternehmen zu erkennen gäben und so für diese Mitarbeiter_innen eine bedeutende Sichtbarkeit ermöglichten, die weder für die Personalabteilung noch für die LGBT*IQ-Gruppen selbst in dieser Form erreichbar sei.

Wichtig sei auch, geouteten Beschäftigten Hilfsbereitschaft zu signalisieren, Zeit zu lassen aber bei Bedarf unterstützend zur Seite zu stehen. „Manche gehen nämlich lieber wieder zurück in ihr Versteck, wenn sie den Eindruck haben, dass sie ihrem Boss nicht vertrauen können und nicht wissen ob ihre Offenheit wirklich Sicherheit bedeutet.“

So komme es, dass 70 Prozent der ungeouteten Mitarbeiter_innen über kurz oder lang das Unternehmen verlassen würden. Deshalb sei es wichtig mit ihnen ins Gespräch zu kommen um zu erfahren, was noch zwischen ihnen und ihrem Outing steht. „Vor allem aber ist es wichtig die Gespräche mitzubekommen, die so heute nicht mehr stattfinden sollten und dagegen zu halten, denn das kriegen auch die noch ungeouteten mit“, so Beth Brooke-Marciniak am Ende des Gesprächs.

Video vom Fireplace-Chat mit Beth Brooke-Marciniak

Claudia Brind-Woody

„Auch LGBT*IQ müssen mutig sein. Es ist ihre Entscheidung. Wir müssen ihnen jedoch auch die positiven Effekte des Coming-Out aufzeigen, statt wie bisher nur Nachteile damit zu verbinden.“

Claudia Brind-Woody arbeitet seit 1996 für IBM, ist Vice President des Unternehmens und zugleich Geschäftsführerin des Global Intellectual Property Licensing. Damit ist sie eine der einflussreichsten homosexuellen Frauen in der internationalen Geschäftswelt und eine Schlüsselperson in zahlreichen LGBT*IQ-Organisationen. Mehr als 40 davon fördert das IT- und Beratungsunternehmen mittlerweile in 30 Ländern und trägt durch diese offene Haltung dazu bei, dass sich auch in anderen Unternehmen eine LGBT*IQ-wertschätzende Unternehmensphilosophie etabliert. In den vergangenen Jahren war Brind-Woody nicht nur Preisträgerin mehrerer Gleichberechtigungspreise sondern auch ständige Vertreterin in den internationalen Rankings der einflussreichsten lesbischen Persönlichkeiten. Damit lebt sie vor, was sie von anderen Unternehmenslenker_innen einfordert und zum Titel ihrer Keynote für das DINNER BEYOND BUSINESS gemacht hat: „Authentic Leadership“.

Wer Claudia Brind-Woody zuhört, wenn sie über die Notwendigkeit und die Chancen einer LGBT*IQ-wertschätzenden Unternehmensphilosophie spricht, kann sich wechselnder Gemütszustände nicht erwehren. Wissendes Schmunzeln lässt sie auf den Gesichtern ihres Publikums erscheinen, wenn sie als Vice President von IBM erzählt, wie man ihr in Japan jüngst berichtet habe, dass es unter den Mitarbeitern keine Schwulen oder Lesben gäbe und somit kein Handlungsbedarf bestünde.
Denn natürlich wissen die Unternehmensvorstände und Senior Executives, die an diesem Abend auf Einladung der PROUT AT WORK-Foundation im Turm der Deutschen Bank AG zum DINNER BEYOND BUSINESS zusammen gekommen sind, dass es nicht so ist. Dass es in jedem großen Unternehmen einen Talentpool von Mitarbeiter_innen mit LGBT*IQ-Background gibt, der noch viel zu oft unerschlossen brach liegt.

Deshalb gelingt es Brind-Woody in ihrer Keynote auch gleich darauf mehrheitlich betretenes Schweigen im Publikum zu erzeugen, indem sie die Frage stellt, wer denn überhaupt über eine Liste der LGBT*IQ-Top-Talente im eigenen Haus verfüge? Nur wenige.

Als sie die Frage erweitert, ob es im Unternehmen die Möglichkeit zur freiwilligen Selbstidentifikation als LGBT*IQ gibt, ist fast keine Hand mehr erhoben.
Brind-Woody bedauert das, räumt aber ein, dass in Deutschland der strikte Datenschutz eine solche Selbstidentifikation verhindere: „Wenn wir nicht wissen, wer unter unseren Angestellten einen LGBT*IQ-Hintergrund hat, wie sollen wir sie dann gezielt fördern?

Auch ein Dinner-Gast fragt, wie man denn Mentoring-Programme für LGBT*IQ-Mitarbeiter_innen auflegen solle, ohne dass damit ein Coming-Out verbunden sei.
Brind-Woodys Antwort darauf ist überraschend aber unmissverständlich: „Auch LGBT*IQ müssen mutig sein. Es ist ihre Entscheidung. Wir müssen ihnen jedoch auch die positiven Effekte des Coming-Out aufzeigen, statt wie bisher nur Nachteile damit zu verbinden.“

Authentisches Führen bedeute eben auch Teams in vielfältiger Zusammensetzung zusammenstellen zu können.
Eine Fußballmannschaft, die nur aus Stürmern besteht, wird nie ein Spiel gewinnen. Ohne den Torwart in seinen grellen Farben funktioniert es nicht“, zieht Brind-Woody die Parallele zwischen Business und Sport. „Auch im Geschäftsleben geht es schließlich ums Gewinnen.“

‚Walk the Talk‘ – den eigenen Worten Taten folgen lassen

Claudia Brind-Woody arbeitet seit 1996 für IBM, ist Vice President des Unternehmens und zugleich Geschäftsführerin des Global Intellectual Property Licensing. Damit ist sie eine der einflussreichsten homosexuellen Frauen in der internationalen Geschäftswelt und eine Schlüsselperson in zahlreichen LGBT*IQ-Organisationen. Mehr als 40 davon fördert das IT- und Beratungsunternehmen mittlerweile in 30 Ländern und trägt durch diese offene Haltung dazu bei, dass sich auch in anderen Unternehmen eine LGBT*IQ-wertschätzende Unternehmensphilosophie etabliert.

„Was hilft es, wenn wir hier oben in der Unternehmensspitze tolle Strategiepapiere zu Diversity haben, aber gleichzeitig ein homophober Manager auf der mittleren Leitungsebene der beruflichen Laufbahn und damit dem Leben vieler unserer Talente mit LGBT*IQ-Background im Wege steht?“

In den vergangenen Jahren war Brind-Woody nicht nur Preisträgerin mehrerer Gleichberechtigungspreise sondern auch ständige Vertreterin in den internationalen Rankings der einflussreichsten lesbischen Persönlichkeiten. Damit lebt sie vor, was sie von anderen Unternehmenslenker_innen einfordert und zum Titel ihrer Keynote für das DINNER BEYOND BUSINESS gemacht hat: „Authentic Leadership“.
Darunter versteht sie den Auftrag die eigene Führungsrolle durch authentische Beziehungen zu den Mitarbeiter_innen zu legitimieren.
Kann ich als Vorgesetze_r die Worte ‚lesbisch‘ oder ‚transgender‘ so benutzen, so dass mein Gegenüber den Eindruck hat, dass es kein Problem ist, so zu sein?“

Das setze einen Führungsstil mit dem Herzen voraus, ohne Angst sich dadurch verwundbar zu machen. Aber auch, den eigenen Worten Taten folgen zu lassen. Wer sage, Vielfalt im Arbeitsumfeld sei wichtig, müsse auch etwas dafür tun.
Was hilft es, wenn wir hier oben in der Unternehmensspitze tolle Strategiepapiere zu Diversity haben, aber gleichzeitig ein homophober Manager auf der mittleren Leitungsebene der beruflichen Laufbahn und damit dem Leben vieler unserer Talente mit LGBT*IQ-Background im Wege steht?“

Betroffene Stille füllt den Saal im 35. Stock als Brind-Woody den Führungskräften im Publikum erklärt, weshalb auch heute noch viele LGBT*IQ ein Coming-Out im Beruf vermeiden. Sie erzählt von der steigender Zahl lesbischer, schwuler oder trans* Kinder und Jugendlicher in den USA, die von ihren Eltern aus dem Haus geworfen und in die Obdachlosigkeit getrieben würden. Von der ebenfalls steigenden Selbstmordrate unter diesen Teenagern.
Als muslimisches, jüdisches oder dunkelhäutiges Kind wird man möglicherweise auch auf dem Schulhof gemobbt. Aber man kommt nach Hause und findet bei seiner Familie Verständnis und Unterstützung, denn die Eltern sind selbst muslimisch, jüdisch oder dunkelhäutig. Bei lesbischen, schwulen, transidenten oder genderqueeren Kindern sind es die Eltern aber meistens nicht.“

Übertragen auf den Anspruch authentischer Menschenführung bedeute dies, zu lernen auch Mitarbeiter_innen motivieren und fördern zu können, die anders seien als man selbst.
Viele, auch sie selbst, seien bei benachteiligenden Entscheidungen oder verletzender Wortwahl in der Vergangenheit zu oft still gewesen. „Aber Schweigen ist kein Führungsstil“, bringt es Brind-Woody auf den Punkt.

Am Ende ihrer Keynote ruft sie dazu auf, als Führungskraft wagemutiger und selbstbewusster zu sein, auch wenn das bedeute gelegentlich gegen den Strom schwimmen zu müssen.
Natürlich ist es ist wunderbar erfolgreich zu sein. Aber noch stärker ist es Bedeutsames zu tun.“

Auch in diesem Jahr waren wieder fast 30 Vorstände und Senior Executives von Lufthansa, Vodafone, IBM, Commerzbank, Deutsche Bank, Fraport, Europäischer Zentralbank, Randstad Deutschland, Accenture, White & Case, Sandoz, Oliver, Wyman, Linklaters, Bayer, Procter & Gamble, Hogan Lovells Merck, der Mainzer Verkehrsgesellschaft, KPMG und Google der Einladung der PROUT AT WORK-Foundation gefolgt, um beim Dinner in lockerer Atmosphäre die Vorteile vielfältiger und chancengleicher Mitarbeiter_innenführung zu diskutieren.

Video der Rede von Claudia Brind-Woody:

John Browne

Noch seien Coming-Outs in der Wirtschaft – gerade unter Führungskräften – selten […]. Es fehle an Vorbildern, die zeigen, wer sie sind.

Wo der frühere Chef von BP und heutige Executive Chairman der Ölinvestfirma L1 Energie, John Browne (68), auftritt, wird es emotional – ein seltener Umstand in der Welt der Wirtschaft. In seiner Keynote an die teilnehmenden Führungskräfte erzählte der gebürtige Hamburger Browne aus seinem Leben und von seinem jahrzehntelangen Verstecken. Seine Mutter, eine Überlebende des Konzentrationslagers Auschwitz, hatte ihm in jungen Jahren eingeschärft, dass es gefährlich sei, jemandem ein Geheimnis zu erzählen und ein identifizierbarer Teil einer Minderheit zu sein. An diesen Rat hielt sich Browne bis zu seinem Zwangs-Outing im Jahr 2007. In seinen 41 Jahren bei BP – davon 13 Jahre als Chief Executive –, in der er den Energiekonzern zu einer der größten Firmen weltweit entwickelte, habe er die ganze Zeit ein Doppelleben geführt: eines für die Öffentlichkeit und ein privates als homosexueller Mann. Seine wahre Identität zu verheimlichen, habe von ihm ständige Wachsamkeit verlangt, berichtete Lord Browne. Heute findet er, dass es keine gute Idee sei, seine Identität zu verstecken. Das koste Menschen viel Energie und Kreativität, die in der Arbeitswelt letztlich den Unternehmen verloren gingen.

Eine Studie für sein Buch „The Glass  Closet: Why Coming Out is Good Business“ habe herausgefunden, dass der Wert von Unternehmen mit authentisch und offen lebenden Vorständen deutlich höher liege als bei Unternehmen mit Vorständen, die traditionell-konservative Ansichten vertreten. Wirtschaft und Gesellschaft profitierten also nachweislich von toleranten Unternehmenskulturen, sagte Brown in seiner emotionalen Keynote. An die anwesenden DAX-Vorstandsmitglieder und Top-Führungskräfte richtete er deshalb den Appell: Die Logik von Unternehmen sei, Menschen zusammen zu bringen. Deshalb sei es nur folgerichtig und wichtig, dass sich Weltkonzerne und große Unternehmen als Vorkämpfer zu Diversity und Inclusion bekennen, sie offen kommunizierten und immer wieder selbst auf die Tagesordnung setzten, um so ein angstfreies Arbeitsumfeld zu schaffen. Noch seien Coming-Outs in der Wirtschaft – gerade unter Führungskräften – selten, konstatierte der charismatische Browne. Es fehle an Vorbildern, die zeigen, wer sie sind.

In die Runde fragte Browne, wie viel offen schwul lebende Vorstände es denn in den Konzernen des S&P 500 Index gebe? Nur einen, und das sei Tim Cook, der CEO von Apple.

Als eine der erfolgreichsten Manager der Welt hat sich John Browne seit seinem Zwangs-Outing durch einen früheren Freund bewusst entschieden, ein Vorbild zu sein, ein „Role-Model“, um andere zu ermutigen, zu sich selbst zu stehen und ihren eigenen Weg zu gehen.

Er wolle das Richtige tun, erklärte Brown sein Engagement. Deshalb schreibe er Bücher und sei in der Öffentlichkeit aktiv. Aus eigener Erfahrung wisse er nur zu gut: Die Wirtschaft ist ein „spezieller Ort“ und sehr konservativ. Veränderungen bräuchten hier Zeit und beharrlichen Druck.

In Deutschland hat sich bisher nur ein Konzern-Vorstandschef als schwul lebend geoutet: Niek Jan van Damme von der Deutschen Telekom.

„This was my first prout-at-work event I was encouraged to join, because I was really interested to hear Lord Browne. He is really interesting as a person and a very credible person to speak about inclusion in corporate environment. He gave us lessons which I hope we could take home to our own companies.“

Die extra zum DINNER BEYOND BUSINESS nach Hamburg gereisten Vorstandsmitglieder waren bewegt von dem, was John Browne erzählte. Robin J. Stalker, Finanzvorstand bei Adidas, erinnerte sich an seine erste Begegnung mit der LGBT*IQ-Bewegung, und dass er erst eine Weile über ihr Anliegen nachdenken musste, sich heute aber absolut damit identifiziere. „This was my first prout-at-work event I was encouraged to join, because I was really interested to hear Lord Browne. He is really interesting as a person and a very credible person to speak about inclusion in corporate environment. He gave us lessons which I hope we could take home to our own companies.“

An die halbstündige Rede von Lord Browne schloss sich ein vorzügliches Essen an, das bis in den späten Abend dauerte und währenddessen sich interessante Gespräche und neue Kontakte entwickelten.

Janina Kugel, Arbeitsdirektorin der Siemens AG, würde beim nächsten DINNER BEYOND BUSINESS gern wieder mit dabei sein: „Ich habe eine sehr aufgeschlossene Gruppe von unterschiedlichen Unternehmensvertreter_innen getroffen, die sagen, das Thema ist wichtig, wir wollen es vorantreiben, damit Diversity auch in Deutschland publik wird. Denn, wenn wir es genau überlegen, haben wir hier Nachholbedarf Leute zu finden, die sagen, ja ich gehöre der LGBT-Community an, ich stehe dazu, ich bin der oder die, die ich bin, und verstecke mich nicht.“

Norbert Janzen, als Arbeitsdirektor Mitglied der Geschäftsführung bei IBM, ist ebenfalls von der Idee des Abends begeistert: „Ich habe eine große Affinität zur Offenheit und liebe den Austausch zwischen Firmen, weil ich glaube, wir können sehr viel voneinander lernen. Und die Plattform, die hier geboten wurde, ist phänomenal. Das zu verbinden mit einem After-Work Dinner und mit einem so inspirierenden Gast ist hervorragend. Ich werde eine Menge mitnehmen und in die Firma zurücktragen.“

Die Veranstaltung mit Lord John Browne in Hamburg ist der Auftakt zu der Reihe DINNER BEYOND BUSINESS. Dabei trifft sich in lockerer Atmosphäre und bei einem erstklassigen Menü ein ausgewählter Kreis von Vorstandsmitgliedern mit den Vorständen und Stiftern von PROUT AT WORK. Die Keynote von namhaften Referenten schafft jeweils den Rahmen für Inspiration und den Austausch über neue Perspektiven der Unternehmenskultur. Die Treffen sind in unregelmäßigen Abständen geplant.

Der Einladung von PROUT AT WORK zum ersten DINNER BEYOND BUSINESS waren Vorstände und Executives von Adidas, Allianz, Bayer, Commerzbank, Covestro, DEA, Deutsche Bank, Deutsche Börse, Dow, EY, GE, IBM, Latham&Watkin, Merck, Pfizer, PwC , Sandoz, Siemens, Sodexo und White&Case gefolgt.

Video der Rede von Lord Browne: