Am 11. Oktober findet jÀhrlich der Coming Out-Day statt. 1988 in den USA ins Leben gerufen, soll der Coming Out Day zum Coming Out ermutigen, die LGBT*IQ Community sichtbar machen und Vorurteile abbauen.
Ein Coming Out ist ein IdentitĂ€tsprozess: Es geht um Selbsterkenntnis, die Akzeptanz der eigenen Person und darum, den Mut zu fassen, es anderen zu erzĂ€hlen. Deshalb machen sich betroffene Personen oft jahrelang Gedanken, wie und wann sie sich outen. Unsicherheit und Ăngste spielen eine groĂe Rolle – vor der Reaktion der Familie, vor Konflikten mit nahestehende Personen, vor der Reaktion von Vorgesetzen und Kolleg_innen, oft begleitet von der Furcht vor einem Karriereknick. Mit einem Coming Out geben betroffene Personen also einen groĂen Vertrauensvorschuss heraus, den es zu schĂŒtzen gilt. Wohlwissend, dass auch Eltern, FĂŒhrungskrĂ€fte und Kolleg_innen ggf. einen Prozess (widersprĂŒchliche GefĂŒhle, Sorgen, Akzeptanz) durchlaufen mĂŒssen â sollten sie dennoch gleich zu Beginn stĂ€rken. Kommunikation ist deshalb sehr wichtig: Wie jede_r gut unterstĂŒtzen kann, welchen Fragen Raum gegeben werden sollte (und welche vermieden werden sollten), beleuchteten wir in einer gemeinsamen Paneldiskussion mit unserem PROUT EMPLOYER Commerzbank AG.
Die Aufzeichnung der Paneldiskussion finden Sie hier:
Die Panelist_innen:

âDie Beziehung unter Geschwistern ist eine Besondere und fĂŒr mich eine der wichtigsten in der Familie, die mit dem Erwachsensein nicht aufhört. Ich war zum Beispiel die erste Ansprechperson, zumindest vor meinen Eltern, als sich mein Bruder vor ca. 20 Jahren outete. Damals war ich ĂŒberfordert und habe Fragen gestellt wie: âBist du dir sicher?â. Dabei war ich es selbst, die unsicher war und sich hilflos fĂŒhlte. Heute möchte ich durch AufklĂ€rung Vertrauen schaffen und freue ich mich sehr auf diesen Austausch.â
Sofia Strabis, Head of Diversity & Inclusion, Commerzbank AG
âSeit meinem Coming-Out gehe ich offen mit dem Thema um. Ich fĂŒhle mich hier vor allem meinen Kindern gegenĂŒber verantwortlich. Denn wie sollen sie und andere selbstverstĂ€ndlich damit umgehen, wenn ich es selbst nicht tue? Nur wenn man ins GesprĂ€ch kommt, kann man auch Vorurteile abbauen. Mit meinem ehrenamtlichen Engagement als ARCO-Sprecherin und als Vorstandsmitglied des LSVD Sachsen will ich daher fĂŒr Sichtbarkeit sorgen und auch anderen Mut machen.â
Sabine Schanzmann-Wey, Regionale Pressesprecherin und ARCO-Sprecherin, Commerzbank AG, Vorstandsmitglied des LSVD Sachsen e.V.


âAls meine Tochter uns 2006 mit zwölf Jahren sagte, sie sei lesbisch, war ich, ehrlich gesagt, etwas verdutzt. Denn bis dahin hatte ich die queere Welt nicht wirklich wahrgenommen. Dies war ein AnstoĂ, mich mit dem Thema zu befassen. Heute möchte ich aufgrund meiner eigenen Erfahrungen als Vater und auch als FĂŒhrungskraft unterstĂŒtzen, aufmerksam machen und mich fĂŒr ein offenes und tolerantes Arbeitsumfeld einsetzen.â
Paul Fillmore, Bereichsvorstand Group Risk Control, Commerzbank AG
“Ich weiĂ durch meine eigenen persönlichen Erfahrungen, wie schwierig, aber auch wichtig das eigene Coming Out privat und am Arbeitsplatz ist. Wir alle, Freund_innen, Familie, Eltern & Arbeitskolleg_innen tragen einen groĂen Teil zu einer offenen Kultur in der Gesellschaft und am Arbeitsplatz bei. Unser gemeinsames Ziel sollte sein, dass jede_r die_der sich outen möchte, das auch machen kann – ohne irgendwelche Nachteile oder Ausgrenzung zu erleben.”
Dr. Jean-Luc Vey, Vorstand, PROUT AT WORK-Foundation


Ăber die Frage “Warum ist das Coming-Out immer noch schwierig” hat unser Vorstand Albert Kehrer gemeinsam mit TagesgesprĂ€ch Moderatorin Christine Krueger gesprochen. Der Beitrag kann ab sofort online angehört werden.

Im GesprĂ€ch mit… Maren BorggrĂ€fe
âDie BefĂŒrchtung â so subjektiv sie sein mag â hat in jedem Falle erst einmal ihre Berechtigung.â
Maren BorggrĂ€fe, GrĂŒnderin und Partnerin von autenticon â consulting in context, begleitet als systemische Beraterin, Trainerin
und Coach persönliche und organisationale VerÀnderungs-prozesse.
Ihre Herzensthemen sind Wandel von Unternehmenskultur und gelingende Kommunikation. Sie begleitet als Trainerin das PROUT AT WORK-Seminar âSoll ich oder soll ich nicht?â Coming Out am Arbeitsplatz.
Maren, Du bist dieses Jahr zum 3. Mal in Folge als Trainerin fĂŒr das Coming Out Seminar âSoll ich oder soll ich nichtâ von PROUT AT WORK engagiert. Welchen Bezug hast Du zum Thema LGBT*IQ und Coming Out?
Maren BorggrĂ€fe: Als ich 19 Jahre alt war, kurz nachdem ich aus einer sĂŒddeutschen Kleinstadt zum Studium nach Berlin gekommen war, dĂ€mmerte mir, dass ich mich auch in Frauen verlieben kann â und das heftig! Das war fĂŒr mich â aus einem sehr religiösen Elternhaus stammend â bisher völlig auĂerhalb jeder Denkmöglichkeit gewesen. Denn Homosexuelle waren aus meiner Sicht SĂŒnder, die sich bemĂŒhen mussten, wieder auf den rechten Weg zu kommen. Was fĂŒr ein Schock â fĂŒr mich, aber vor allem fĂŒr meine Eltern! Meine Mutter hat recht schnell gespĂŒrt, dass irgendwas im Busch war, so dass ich keinen anderen Ausweg sah, mich relativ schnell zu Hause zu outen. Danach nahm das Schicksal seinen Lauf. Meine Eltern lehnten meine âunnormalenâ, nicht gottgewollten Neigungen ab und können bis heute mein Lebensmodell nicht vollstĂ€ndig akzeptieren. Und das, obwohl ich nach einigen Irrungen und Wirrungen seit 14 Jahren mit meiner Frau zusammen bin und wir zwei wunderbare Jungs zusammen haben. Aus der eigenen Erfahrung heraus weiĂ ich, in welche inneren und Ă€uĂeren Nöte einen das Coming Out bringen kann. Gleichzeitig habe ich aber auch erlebt, wie sehr die Auseinandersetzung mit sich selbst zur eigenen Reifung beitrĂ€gt und welche Kraft ich aus dieser Facette meiner Persönlichkeit schöpfen kann, wenn ich voll dazu stehe und sie offen lebe.
âAus der eigenen Erfahrung heraus weiss ich, in welche inneren und Ă€usseren Nöte einen das Coming Out bringen kann.â
Welche Erfahrungen hast Du bei Deinem Coming Out gemacht?
Maren BorggrĂ€fe: Mein Coming Out in der Familie war ein steiniger Weg, angefangen vom elterlichen Verbot, darĂŒber gegenĂŒber Dritten, sogar den eigenen (jĂŒngeren) BrĂŒdern zu reden, ĂŒber Phasen der völligen Entfremdung von meinen Eltern bis hin zu der ĂŒberraschenden Erkenntnis, dass UnterstĂŒtzung von unvermuteter Seite kommen kann. So haben meine GroĂeltern und meine Tanten mĂŒtterlicherseits mich von Anfang an sehr unterstĂŒtzt und auch meine Oma vĂ€terlicherseits reagierte ĂŒberraschend gelassen. Andere Familienmitglieder lehnten es wie meine Mutter ab, zu meiner Hochzeit zu kommen. Das schmerzte damals sehr. Geholfen hat mir ein ganz aktiver durch eine professionelle Coach begleiteter Prozess der Annahme â meiner selbst, aber auch der Menschen, die Schwierigkeiten mit meinem so sein hatten und haben. Die Erkenntnis, dass jede und jeder es eben so gut macht, wie sie oder er kann, und ich eine HaltungsverĂ€nderung bei anderen nicht selbst herbeifĂŒhren oder gar erzwingen kann, war ganz wichtig fĂŒr mich. Ich habe dadurch innere Freiheit gewonnen, konnte die Rebellin in mir versöhnen und dadurch auch wieder den Boden fĂŒr AnnĂ€herung, gerade mit meiner Mutter, bereiten.
Im Freundeskreis und beruflich habe ich bis auf ganz wenige Ausnahmen sehr gute Erfahrungen mit dem Coming Out gemacht. Je offener ich selbst mit meiner Lebensweise umgehe, umso offener sind auch die Reaktionen. Am Arbeitsplatz bin ich ganz unterschiedliche Wege gegangen beim Coming Out. Da ich meine Frau bei der Arbeit kennengelernt habe, wĂ€hrend wir beide noch in der Probezeit waren, haben wir uns zunĂ€chst sehr zurĂŒckgehalten. Bis eine eigentlich nicht Eingeweihte und fragte, ob wir noch zusammen seien, es gingen GerĂŒchte herum, wir hĂ€tten uns getrennt. Danach hielten wir es nicht mehr fĂŒr erforderlich, um den heiĂen Brei rumzureden. TatsĂ€chlich war kaum jemand ĂŒberrascht. Kein Wunder! Wir waren sowas von verliebt. Das lĂ€sst sich schwer verbergen. Bei einem spĂ€teren Arbeitgeber habe ich mich vor versammelter Mannschaft geoutet bei der Vorstellungsrunde der âNeuenâ, indem ich als Hobby mein politisches Engagement im LGBT*I-Bereich genannt habe. Auch hier waren die Reaktionen eher anerkennend und bestĂ€tigend, wenn auch spĂŒrbar war, dass ich als irgendwie âandersâ wahrgenommen wurde. Seit ich selbstĂ€ndig bin, handhabe ich es so, dass ich bei Kooperationspartnern und Kunden, abhĂ€ngig von der Situation, von meiner Familie erzĂ€hle oder auch nicht. Einfach so, wie jeder Hetero auch abhĂ€ngig vom BauchgefĂŒhl mehr oder weniger Privates erzĂ€hlt.
Warum ist Deiner Meinung nach ein Coming Out am Arbeitsplatz wichtig?
Maren BorggrĂ€fe: Ich bin ĂŒberzeugt, dass Menschen dann am kreativsten, innovativsten und effektivsten Arbeiten, wenn sie sich in ihrer Arbeitsumgebung wohlfĂŒhlen, ihren Kolleg_innen und Vorgesetzten vertrauen und sich in der Ganzheit ihrer Persönlichkeit zeigen dĂŒrfen. Wenn ich einen Teil meiner Energie darauf verwenden muss, einen Anteil meiner eigenen Persönlichkeit zu verbergen, fahre ich quasi mit angezogener Handbremse. Das ist sehr anstrengend und energieraubend. Kraft, die ich fĂŒr meine Arbeit gut gebrauchen könnte, geht verloren. Ich befinde mich im stĂ€ndigen inneren Konflikt mit mir selbst. Authentisches Auftreten ist dann schwierig. Denn wir Menschen haben ein sehr feines GespĂŒr dafĂŒr, wenn unser GegenĂŒber sich nicht in sich stimmig verhĂ€lt. Gerade fĂŒr FĂŒhrungskrĂ€fte kann das zum Problem werden. Abgesehen davon, dass wir erpressbar sind, wenn wir ein Geheimnis haben, ist es eine stĂ€ndige Wackelpartie, sich zu exponieren â und das fordert die moderne Arbeitswelt hĂ€ufig von uns. Der dabei entstehende Stress kann sogar krank machen und zu psychosomatischen Symptomen fĂŒhren.
Umgekehrt kann ich eine Organisation durch mein offenes Auftreten unheimlich bereichern und zur DiversitĂ€t beitragen, die â das ist wissenschaftlich erwiesen â Voraussetzung ist fĂŒr die hohe LeistungsfĂ€higkeit von Teams. Ich kann ein StĂŒck Kultur mitgestalten und durch mein Vorbild auch anderen den Weg bereiten.
“GrundsĂ€tzlich möchte ich allen da drauĂen, die noch am Zaudern sind (und es gibt noch viel mehr davon, als wir ahnen!), Mut machen!”
Was wĂŒrdest Du LGBT*IQ BeschĂ€ftigten raten, die die BefĂŒrchtung haben bei ihrem Coming Out am Arbeitsplatz auf Ablehnung zu stoĂen?
Maren BorggrĂ€fe: Die BefĂŒrchtung â so subjektiv sie sein mag â hat in jedem Falle erst einmal ihre Berechtigung. Jede und jeder kann selbst entscheiden, ob und wenn ja, wann und wie er oder sie sich outet. Das ist mir ganz wichtig zu sagen. Insbesondere im Kontext des organisationalen Diversity Managements, das ja teilweise das Coming Out als wĂŒnschenswert darstellt. Das ist eine ganz persönliche Entscheidung, die weitreichende Folgen haben kann.
Ich empfehle, sich mutig UnterstĂŒtzung zu holen. Das kann ein Freund, eine Freundin sein, zu der wir Vertrauen haben, ein Ansprechpartner in der Organisation z.B. aus dem LGBT*I-Netzwerk, falls vorhanden, oder ein professioneller Coach. PROUT AT WORK bietet regelmĂ€Ăig das Seminar âSoll ich oder soll ich nicht? Coming-Out am Arbeitsplatzâ an. Dort können sich LGB angeleitet von erfahrenen Trainer_innen in geschĂŒtztem Rahmen austauschen, ihre bisherigen Coming-Out-Erfahrungen reflektieren, neue Verhaltensweisen ausprobieren und sich gegenseitig fĂŒr das Coming Out im Job stĂ€rken. Auch immer mehr Coaches offerieren Begleitung beim Coming Out an. HĂ€ufig kommen diese â so wie ich â selbst aus der LGBT*I Community und kennen die besonderen Herausforderungen aus eigenem Erleben.
Es hilft vielen, die vor der Entscheidung stehen, sich selbst zu am Arbeitsplatz zu outen, sich mit den eigenen bisherigen Erfahrungen mit dem Coming Out in anderen Kontexten auseinanderzusetzen. Was habe ich erlebt? Wie habe ich mich dabei gefĂŒhlt? Was waren typische Reaktionen anderer und wie ging es mir damit? Was waren meine âHelferleinâ, Strategien und Verhaltensmuster, die mir halfen, mit der schwierigen Situation umzugehen? Welche davon stĂ€rken mich vielleicht fĂŒr die jetzige Situation? Welche möchte ich lieber ablegen und wie möchte ich es diesmal stattdessen angehen?
Auch sollten BeschÀftigte sich gut informieren, ihr Umfeld beobachten und realistisch einschÀtzen: Wie offen ist die Organisationskultur? Wie wird hier grundsÀtzlich mit Fremdem umgegangen? Welche offenen LGBT*I gibt es in der Firma? Welche Risiken hat ein Coming Out? Und bin ich bereit, diese zu tragen? Wie wichtig ist es mir, mich zu outen? Und welchen Nutzen habe ich davon? Bin ich ggfs. bereit, auch den Arbeitgeber zu wechseln, wenn es nicht passt?
GrundsĂ€tzlich möchte ich allen da drauĂen, die noch am Zaudern sind (und es gibt noch viel mehr davon, als wir ahnen!), Mut machen! Traut euch, euch zu zeigen. Wenn ihr in eurer Mitte seid und zu euch steht, tun sich unerwartete Wege auf. Das was ihr aussendet, kommt zu euch zurĂŒck!