Alex Gessner

Alex Gessner
© Alex Gessner
MYSTORY mit …

alex
34 Jahre, frankfurt

„Es waren schwarze trans* Frauen, die mich über die Geschichte
und Gegenwart unserer Community aufgeklärt haben, über das Privileg, in Europa queer zu sein, und über den langen Weg, den wir
noch zurücklegen müssen, um Die Diskriminierung zu beseitigen….“

Veröffentlicht: September 2023

Privilegien, Aufklärung & Coming Outs.

Es ist mir schwergefallen, mich hinzusetzen und diesen Artikel zu schreiben. Es fühlt sich oft so an, als hätte ich nichts Bedeutendes mitzuteilen,  wenn es um mein Coming-out geht. Es war einfach super ereignislos.  Das ist eine sehr privilegierte Position, die vielen Personen unserer Community verwehrt bleibt, die um ihre Sicherheit fürchten müssen, wenn sie sich outen. Ich wünsche mir, dass alle Menschen unserer LGBTQIA2S+-Community ein ereignisloses Coming-out haben und sich in Zukunft vielleicht gar nicht mehr zu outen brauchen.

Als ich 15 Jahre alt war, wurde mir klar, dass ich bi bin. Ich interessierte mich mehr für Xena, die Kriegerprinzessin, und ihre „Freundschaft“mit Gabrielle als für das, was heterosexuelle Mädchen in meinem Alter eigentlich interessieren sollte. Ich fühlte mich zu Männern und Frauen hingezogen und wusste damals noch nicht, dass es noch so viel mehr wunderschöne Geschlechtsidentitäten gibt.

Heute würde ich mich als pan oder omni bezeichnen, wenn wir unbedingt ein Label brauchen – für mich bin ich einfach queer.

Ich fühle mich nicht nur zu einem Geschlecht hingezogen. Ich wusste es nur nicht, weil es 2003 nicht viele queere Darstellungen gab. 2004 kam The L Word heraus, und obwohl es damals schon sehr schwierige Stories gab, insgesamt nicht gut gealtert ist und kein gutes Beispiel für einen intersektionalen Ansatz ist, hat es damals meine Welt verändert, ebenso wie der L Word-Podcast.

Ich habe es meiner Mutter ziemlich früh und es war keine große Sache. Hauptsächlich, weil sie super tolerant ist, aber auch, weil es sich wahrscheinlich nicht echt angefühlt hat. Eine feste Freundin habe ich nie mit nach Hause gebracht.

Aber ich muss mir Sorgen über ihre Reaktion gemacht haben, denn meine erste Freundin habe ich geheim gehalten. Ich glaube, das lag nicht nur an ihrem Geschlecht, sondern auch daran, dass wir uns online kennengelernt hatten, uns nicht persönlich begegnet waren, weil ein Ozean zwischen uns lag, und ich die ganze Situation mit Scham verband. Ich war 19 und verließ Deutschland, um mit meiner kanadischen Freundin in Brighton, dem queeren Hotspot in Europa, zusammenzuziehen. Wir trennten uns nach 6 Monaten, und ich glaube bis heute, die meisten Personen in meiner Familie und von meinen Freund_innen hielten sie für eine Mitbewohnerin. Meine nächste Beziehung war mit einem Mann. Da war kein Coming-out nötig, jeder kannte ihn als meinen Freund.

Die queere Community blieb ein fester Bestandteil in meinem Leben. Die meisten meiner Freund_innen und Mitbewohner_innen waren queer, ich hatte mich in die Drag-Kunst verliebt und ging zu jeder Show, die ich besuchen konnte. Ich verdanke der Community viel; sie hat mir geholfen, das zu überwinden, was mich davon abhielt, mein eigenes Queersein zu normalisieren, während ich das aller anderen feierte. Sie haben mir gezeigt, wie ich mich selbst akzeptieren kann, wie ich für meine Gemeinschaft kämpfen kann, wie ich in einer Welt existieren kann, die davon ausgeht, dass jede_r heterosexuell ist. Es waren schwarze trans* Frauen, die mich über die Geschichte und Gegenwart unserer Community aufgeklärt haben, über das Privileg, in Europa, in einer queeren Stadt, queer zu sein, und über den langen Weg, den wir noch zurücklegen müssen, um die Diskriminierung ALLER wunderbaren Personen unserer Community zu beseitigen, die Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt sind, nur weil sie das Leben leben, für das sie geboren wurden. Ich war eine ignorante 20-Jährige und wurde durch ihre Freundlichkeit und ihre Kämpfe aufgeklärt. Ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich mich selbst weitergebildet habe – das habe ich in späteren Jahren auch getan -, aber diese anfängliche Aufklärung wurde von den Menschen geleistet, die in unserer Gesellschaft am meisten marginalisiert sind, und ich verdanke ihnen so viel. Ich wurde Aktivistin für die Rechte von queeren Menschen und Frauen und lerne bis zum heutigen Tag weiter. Obwohl noch ein langer Weg vor uns liegt, ist eine der größten Errungenschaften unserer Gemeinschaft für mich: Eine ältere (sie hat mir erlaubt, das zu sagen) trans* Frau sagte letztes Jahr zu mir: “Endlich können trans* Menschen eine Zukunft haben! Als ich aufwuchs, gab es einfach keine Repräsentation und nur die Gefahr, jung zu sterben. Ich wusste nicht, dass ich glücklich werden würde; das war einfach nicht drin. Heute können trans* Kinder eine Zukunft sehen; wir haben trans* Schauspieler_innen, Sportler_innen, Politiker_innen, gewöhnliche Paare, die glücklich sind.” Dennoch sind wir uns beide einig, dass noch viel getan werden muss, um eine sichere Zukunft für trans* Kinder und Erwachsene zu gewährleisten.

Meine Frau lernte ich 2012 kennen. Wir waren zunächst Kolleginnen und dann jahrelang eng befreundet, bevor sich unsere Freundschaft in Liebe verwandelte. Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass zwei Frauen, die nicht verheiratet sind und miteinander abhängen, eine Affäre haben müssenZumindest war das das Gerücht auf der Arbeit, lange bevor wir romantische Gefühle füreinander entwickelten. Ich erinnere mich, als wir ins Kino gingen, war das in der Arbeit eine ganze Woche lang ein heißes Thema. Manchmal erreichten mich Gerüchte, dass wir bei verdächtigen Dingen wie Kaffeetrinken gesichtet worden waren, und manchmal waren diese Gerüchte  frei erfunden.

Die Leute redeten über unsere Beziehung, lange bevor wir eine Beziehung miteinander hatten, und als wir anfingen, uns zu treffen, erzählten wir es niemandem außer zwei Freund_innen auf der Arbeit. Wir waren  einfach.

Dasselbe galt für meine Mutter. Sie hat sofort gemerkt, dass wir zusammen sind, und das war’s. Ich bin einfach durch die Welt gelaufen und habe die Tatsache, dass ich eine Freundin hatte, die dann meine Frau wurde, als normal angesehen, und die meisten Leute haben auch so reagiert. Ich hatte das Privileg, in einem Unternehmen zu arbeiten, das auf Vielfalt achtete, als ich mich in sie verliebte, und als ich das Unternehmen wechselte, war ich in einer so hohen Position, dass sich die Leute nicht trauten, mir etwas Homophobes ins Gesicht zu sagen. Ich bin aber nicht ignorant; ich weiß, dass es hinter meinem Rücken passiert ist. Ich weiß, dass es auch anderen passiert, und ich weiß, dass Homophobie am Arbeitsplatz und in unserer Gesellschaft immer noch weit verbreitet ist. Nach Jahren bemerkenswerter Fortschritte bei den Rechten von queeren Menschen (bei denen es sich im Grunde um Menschenrechte handelt) sehen wir uns mit einem historischen Rückschlag konfrontiert, der die hart erkämpften Errungenschaften der letzten Jahrzehnte wieder zunichtezumachen droht, nicht nur in Bezug auf den rechtlichen Schutz, sondern auch in der öffentlichen Wahrnehmung.

Dies ist ein kritischer Moment für LGBTQIA2S+-Communities und ihre Allies, der sofortiges Handeln und unerschütterliche Solidarität erfordert.

Das ist es. Mein Coming Out ist keine besonders interessante Geschichte. Vieles von dem, was interessant ist, steht zwischen den Zeilen: über Dinge, die ich verinnerlicht hatte,  die ich wieder verlernen musste, und über Dinge, bei denen ich komplett und völlig falsch lag. Zum Beispiel, als ich annahm, dass meine bis dahin 100-prozentig heterosexuelle Freundin “uns” nur als Experiment betrachten würde, dass sie ihrer Familie nie von uns erzählen würde, dass diese neue Erfahrung ihr Selbstbild so erschüttern würde, dass sie davonlaufen würde. Oder dass es ihr schwerfallen würde, sich an eine Beziehung zu gewöhnen, nachdem sie 16 Jahre lang Single war, und dass sie nicht in der Lage sein würde, Platz für mich zu schaffen. Dass es nicht von Dauer sein würde.

Im Juli 2023 sind wir seit 100 Monaten zusammen, seit 4 Jahren verheiratet. Sie weiß immer noch nicht, wie man die Spülmaschine wie ein normaler Mensch einräumt, aber abgesehen davon geht es uns gut.

Die Angriffe auf unsere Community nehmen auf globaler Ebene zu. Es reicht nicht aus, nur die wenigen Rechte und die begrenzte Akzeptanz zu feiern, die Schwule, Lesben und Bisexuelle erreicht haben. Die TIN*-Gemeinschaft ist weit davon entfernt, die gleichen Rechte und die gleiche Akzeptanz zu erfahren. Wir müssen weiterkämpfen, bis die Diskriminierung von queeren BIPOC, queeren Menschen mit Behinderungen, LGBTQIA2S+ Migrant_innen und insbesondere die Diskriminierung gegenüber trans* und nicht-binären Personen beseitigt ist. Wir dürfen uns nicht mit bloßer Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit zufriedengeben. Die Gesellschaft ist sich unserer bewusst; was wir brauchen, ist gleicher Schutz, Respekt und Chancen, die allen Menschen in unserer globalen Gemeinschaft zuteilwerden sollten.

(Anmerkung: *TIN bezieht sich auf die Trans*, Inter* und nicht-binäre Personen)

Liebe Alex, vielen Dank für YourStory!

Alex Gessner

Alex Gessner
© Alex Gessner
MYSTORY with …

alex
34 Years, fRANKFURT

“It was Black trans* women who educated me about
our community’s history and present, the privilege
of being queer in Europe and about the long
way we have to go to eradicate discrimination…”

Published: September 2023

Privileges, Education & Coming outs.

I struggled to sit down and write this. It often feels like I don’t have something meaningful to share, but when it comes to my coming out story, it also feels like it was just super uneventful.  It is a super privileged position unavailable to many members of our community who have to fear for their safety if they come out. I wish for all members of our LGBTQIA2S+ community to have uneventful coming outs and possibly even no need at all for coming out in the future.

When I was 15 years old, I realized I was bi. I cared more about Xena, Warrior Princess and her soulmate situation with Gabrielle than I did about whatever straight girls my age were supposed to care about. I was attracted to men and women and didn’t know at the time that the gender spectrum held many more beautiful expressions.

Today, I would describe myself as pan or omni if we must have a label – to me, I’m simply queer.

I’m not attracted to only one gender identity. I just didn’t know because there wasn’t a lot of queer representation back in 2003.The L Word came out in 2004, and while it hasn’t aged well and is not a great example of an intersectional approach, it changed my world at the time, as did The L Word podcast.

I told my mom very soon and it wasn’t a big deal. Mostly because she’s super tolerant, but also because it probably didn’t feel real. I’d never had a boyfriend or girlfriend when I lived at home.
But I must have been worried about her reaction because I kept my first girlfriend a secret. I like to think that this wasn’t just because of her gender but also because we met online, had not met in person as there was an ocean between us and I associated the whole situation with shame. I was 19 and  left Germany to move in with my Canadian girlfriend in Brighton, a queer hotspot in Europe. We broke up after 6 months, and I think to this day, most of my family and friends thought she was a roommate. My second relationship was with a man. No coming out needed there, everyone knew him as my boyfriend.

The queer community remained a fixture in my life. Most of my friends and housemates were queer, I had fallen in love with the art of drag and went to every show that I could. I owe a lot to the queer community; they have helped me overcome whatever was holding me back from normalizing my own queerness while I was celebrating everyone else’s. They have shown me how to accept myself, how to fight for my community, how to exist in a world that assumed everyone is straight. It was black trans* women who educated me about our community’s history and present, the privilege of being queer in Europe, in a queer city, and about the long way we have to go to eradicate discrimination for ALL the beautiful members of our community who face violence and discrimination for simply living the life they were born to live. I was an ignorant 20-year-old and have been educated by their kindness and their fights. I wish I could say that I educated myself – I did, in later years – but that initial education was done by the people most marginalized in our society, and I owe them so much. I became an activist for queer and women’s rights and continue learning to this day. Although there is still a long way to go, one of the biggest achievements of our community is this: An elder trans* woman (she allowed me to say that) said to me last year, “Finally, trans* people can have a future! When I grew up, there simply was no representation and only the threat of dying young. I didn’t know I would be happy; that simply wasn’t in the cards. Today, trans* kids can see a future; we have trans* actors and actresses, athletes, politicians, ordinary couples who are happy.” That being said, we both agree that a lot remains to be done to ensure a safe future for trans* kids and adults.

I met the woman who would become my wife in 2012. We were colleagues first and then close friends for years before our friendship turned into love. It seems to be an unwritten rule that whenever two women are colleagues, not married, and hang out, they must have an affair. At least that was the rumour at work long before we developed romantic feelings for each other. I remember when we went to the cinema, it was the hot topic at work in certain gossip circles for a whole week. Sometimes rumors got back to me about sightings of us doing suspicious things like drinking coffee and sometimes these rumors were even completely made-up.
People were talking about us being together long before we were together, so when we started dating, we didn’t tell anyone but two friends at work. We just “were.”

Same with my mom. She immediately clocked that we were together, and that was that. I just walked through the world, normalizing the fact that I had a girlfriend who then became my wife, and most people respond in kind. I’ve been privileged enough to be working at a diversity-aware company when I fell in love with her, and when I switched companies, I was in senior enough positions that people did not dare to comment anything homophobic to my face. I’m not ignorant though; I’m aware it happened behind my back. I’m aware it happens to others, and I know that homophobia still is rampant in the workplace and our society. After years of remarkable progress for queer rights (which are, fundamentally, human rights), we find ourselves confronted with a historic backlash that threatens to roll back the hard-fought gains of decades, not just in terms of legal protections but also in public perception.

It is a critical moment for LGBTQIA2S+ communities and their allies, demanding swift action and unwavering solidarity.

There it goes. My Coming Out is not a very interesting story. In fact, a lot of what’s interesting is between the lines: about my own internalized stuff, stuff I had to unlearn, and things about which I was completely and utterly wrong. Like when I assumed my until-then 100% straight girlfriend would only treat “us” as an experiment, that she would never tell her family about us, that this new experience would shake her self-image to the point where she’d run. Or that she would have difficulty adjusting to a relationship after being single for 16 years and wouldn’t be able to make space for me. That it wouldn’t last.

We’ve been together for 100 months in July 2023, married for 4 years. She still doesn’t know how to load the dishwasher like a human being, but other than that, we’re fine.

Attacks against our community are increasing on a global scale. Merely celebrating the few rights and limited acceptance that gay, lesbian, and bisexual individuals have achieved is not enough. The TIN* community is far from experiencing the same rights and acceptance. We must continue fighting until discrimination against queer BIPOC, queer people with disabilities, LGBTQIA2S+ migrants, and especially discrimination against our trans and non-binary siblings is eradicated. We cannot settle for mere awareness and visibility. Society is aware of us; what we need is equal protection, respect, and opportunities that should be extended to everyone within our global community.

(Note: *TIN refers to the transgender, intersex, and non-binary community)

Dear aLex, Thank you very much for YourStory!