MYSTORY mit …
julia
29 Jahre, düsseldorf
„sich über erlebnisse, Gedanken, empfindungen, gefühle und wahrnehmungen auszutauschen und dabei eine verbindung zu menschen zu spüren, ist ein aspekt von vielfalt, auch geschlechtlicher vielfalt, den ich sehr wertvoll finde.“
Veröffentlicht: Dezember 2023
Zuerst ein paar Fakten über mich: Ich bin 29 Jahre alt, trans* und lebe seit etwas mehr als fünf Jahren als Frau. Aufgewachsen bin ich in einer Kleinstadt in Süddeutschland, wohne aber nach einigen Stationen hier und da mittlerweile in Düsseldorf. Dort arbeite ich bei einem Versicherungsunternehmen als Aktuarin und bin im LGBTIQ+ Mitarbeitenden-Netzwerk aktiv.
Als Aktuarin beschäftige ich mich viel mit Formeln und Zahlen. Ich setze mich zum Beispiel mittels mathematisch-statistischer Methoden mit der Modellierung, Bewertung und Steuerung von Risiken auseinander – bin also ziemlich rational im Job unterwegs. Gleichzeitig freue ich mich als Teil des LGBTIQ+ Netzwerks über jeden Austausch mit Menschen, um Gedanken, Gefühle und Perspektiven besser verstehen zu können, insbesondere zu Themen aus dem Bereich DEI (Diversity, Equity and Inclusion) und LGBTIQ+. Daraus können viele Ideen und Verständnis entstehen und ein gemeinsames, inklusives Miteinander wachsen. Beide Seiten der Arbeit machen mir viel Spaß!
Im Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt am Arbeitsplatz stehen für mich folgende Fragen im Fokus:
- Schweigt man über einen wichtigen Teil der eigenen Identität oder kann man offen damit umgehen?
- Kann man ein authentisches Selbst mit der Welt, den Mitmenschen und den Personen im Arbeitsumfeld teilen?
- Wird man angenommen, wie man ist?
- Funktioniert der Arbeitsplatz als System für eine Person?
- Wird inklusiv mit Personen, Identitäten und ihren verschiedenen Bedürfnissen umgegangen?
Es geht um die Fragen: Wer bin ich? Wer möchte ich sein? Und dann auch: Kann ich diese Person am Arbeitsplatz sein? Diese Fragen sind sehr tiefgreifend. Das zu erkunden und herauszufinden war ein langer Weg für mich, der auch nie wirklich zu Ende sein wird, denke ich. Ein essenzieller Teil meines Weges waren die Menschen, die ich um mich hatte.
Für mich ist meine Identität als Frau, mein trans* Sein, mein Hier und Jetzt auch stark mit Menschen verbunden: mit meiner Schwester; mit Freundschaften, die mich schon lange begleiten; mit Menschen, die sichtbar waren und Raum eingenommen haben. Sie haben mir das Gefühl gegeben, die Freiheit zu haben, mich ausprobieren zu können, ohne dafür verurteilt zu werden.
Sie haben manche Fragen gestellt, aber gleichzeitig oftmals keine Fragen gestellt und mein Sein sich einen Weg bahnen lassen. Das Gefühl, wenn sich etwas richtig anfühlt, ist unglaublich erfüllend und überwältigend. Dieses Gefühl musste ich zulassen können. Mit diesen Menschen habe ich viele dieser Momente zusammen erleben dürfen: gemeinsam Sport zu machen, den eigenen Körper wahrzunehmen und eine Beziehung dazu aufzubauen, den Körper als Medium des Ausdrucks zu nutzen, zu tanzen; Kleidung, Make-Up, Musik und Kunst als Interaktion mit der Außenwelt zu sehen und zu nutzen. In ihrer Vielfalt können sie so viel ausdrücken: Freude, Freiheit, Stärke und das Gefühl, die Welt umarmen zu wollen – aber genauso Ruhe, Schwäche, Trauer und das Gefühl, sich unter einer Decke verkriechen zu wollen. All das hat eine Dynamik in sich, die mir sehr viel gegeben und mir geholfen hat, die Fragen „Wer bin ich? Und wer möchte ich sein?“ zu erkunden.
Dabei führe ich gern Gespräche auf einer sehr menschlichen Ebene, die etwas Verbindendes ist, ohne dass man sich lange kennt. Menschlichkeit zu spüren und sich zuzuhören kann viel verändern: Man wird sich besser der eigenen Perspektive bewusst und erkennt auch eigene Privilegien. Gleichzeitig erweitert man die eigene Perspektive und sieht auch die Zusammenhänge und systemischen Aspekte. Sich über Erlebnisse, Gedanken, Empfindungen, Gefühle und Wahrnehmungen auszutauschen und dabei eine Verbindung zu Menschen zu spüren, ist ein Aspekt von Vielfalt, auch geschlechtlicher Vielfalt, den ich sehr wertvoll finde.