Bakry Diarra

MYSTORY with …

Bakry
42 Years, Berlin

“any discrimination experienced in a
particular cultural context enabled my
mind to arm itself against oppressions and
microaggressions of other social groups. …”

Published: June 2022

Intertwined Identities.

I am mixed race, cis male, middle aged, homosexual, with no previously identified disability, French, not a native German speaker (who speaks accent and error free German), coming from the proletariate, who has experienced educational advancement. I am all this and so much more.

Coming out is almost foreign to me, I´d say. When I was about 18, I worked for the Hotel Central, one of the first gay establishments starting from the 80s in Paris. After my first shift, I told my mother my first impressions about this LGBT*IQ place. She asked me if all my colleagues were gay. My answer was yes. She then asked me if I was gay myself. My answer was yes. That was it, my meaningless powerful statement about my sexual identity. All in all, it was a paradoxically insignificant experience for a gay PoC from a proletarian immigrant neighborhood, in the late 90s. I never felt the need or compulsion to explain myself. I was “openly gay” the way a cis-heterosexual man might be “openly straight”: uneventful. A few months later, when I moved in with my first boyfriend, my youngest brother came to visit regularly to play videogames with my boyfriend. Life, as usual.

In contrast, I experienced intersectional queer awakenings several times, which I came to understand in retrospect. After reading “The Return to Rheims” by Didier Eribon, I realized that my ego-gayness played a role in my aspiration to become something other than what the determinism of social reproduction drove me to be. In fact, I felt drawn to enter other spheres to encounter my own kind.

I felt the need to understand the contradictory multiplicity of my interwoven identities and to reconcile them. This was pointless.

At that time, neither in the gay scene nor in other subcultural spaces, I could feel a sense of complete belonging. No matter what social groups I was in, mechanisms of oppression emerged without exception. There was no one like me, but the eternal ballet of attributions and self-determinations. Again and again I observed how social interactions could be redefined in binary social oppositions. However, any discrimination experienced in a particular cultural context enabled my mind to arm itself against oppressions and microaggressions of other social groups.

Let us take the example of language, which, beyond its communicative function, is also a structuring element of culture. Indeed, it can be an instrument of stigmatization or an assignation for social prestige. Thus, the verve of the youthfully caustic gutter language of the multicultural urban world of my neighborhood, Barbès, helped me fend off both the (un)consciously racist slogans and the ironically exclusionary repartee of the dominant white men of the queer community. Thus, the shameless black humor of the queer scene helped me to free myself from the shame of my proletarian speech. Thus, the shameless boldness of the language of my class helped me to speak foreign languages shamelessly with accent and mistakes. All of these facets of my identity help me navigate a society whose norms and deviations are constantly negotiated. One might perceive this adaptability as pretense, but I would call it the social performativity of an individual’s multiplicity.

Meanwhile, my PoC queer identity was an asset in my D&I consulting work with the Ozecla agency in France to deconstruct mechanisms of oppression and people’s distorting filters.

It often happened that in white feminist milieus it was necessary to elucidate the vicissitudes of social asymmetric dynamics in relation to the distribution of power relations. To the extent that white women needed to be made aware that they might be exercising forms of oppression vis-à-vis a queer black man because of their dominant white heteronormative-cisgender identities.

It takes a great deal of resilience on my part to endure the defenses of an oppressed group as I educate them about their own mechanisms of oppression. I have encountered this phenomenon again and again in recent years in Germany as well – both in my D&I work in the queer community and during my engagement in my main job. It is a burdensome challenge to expose and denounce the social mechanisms of racism, queer hostility and sexism. But as a black queer man with intersectional views, I can’t help it.

DEAR Bakry, THANK YOU VERY MUCH FOR YOURSTORY!

Bakry Diarra

MYSTORY mit …

Bakry
42 Jahre, Berlin

“Jede erlebte Diskriminierung in einem
bestimmten Kulturkreis ermöglichte es meinem
Verstand, mich gegen Unterdrückungen und
Mikroaggressionen anderer sozialen Gruppen zu wappnen. …”

Veröffentlicht: Juni 2022

Verwobene Identitäten.

Ich bin Mischling, Cis-Mann, mittleren Alters, homosexuell, ohne bisher festgestellte Behinderung, Franzose, kein deutscher Muttersprachler (der akzent- und fehlerfrei Deutsch spricht), aus dem Proletariat kommend, der einen Bildungsaufstieg erlebt hat. Ich bin das alles und sogar noch viel mehr.

Das Coming Out ist mir fremd, würde ich sagen. Als ich ungefähr 18 war, arbeitete ich für das Hotel Central, eines der ersten gay Etablissements aus den 80ern in Paris. Nach meiner ersten Schicht erzählte ich meiner Mutter meine ersten Eindrücke über diesen LGBT*IQ-Ort. Sie fragte mich, ob alle meine Kollegen gay seien. Meine Antwort lautete ja. Anschließend fragte sie mich, ob ich selbst schwul sei. Meine Antwort lautete ja. Das war es, meine bedeutungslose kräftige Aussage über meine sexuelle Identität. Alles in allem war es eine paradoxale insignifikante Erfahrung für einen Gay- PoC aus einem proletarischen Migrantenviertel, Ende der 90er. Ich hatte nie das Bedürfnis oder den Zwang, mich zu erklären. Ich war „openly gay“ wie einen Cis-heterosexueller Mann „openly straight” sein könnte: ereignislos. Einige Monate später, als ich zu meinem ersten Freund umzog, kam regelmäßig mein jüngster Bruder zu Besuch, um mit meinem Freund Videogames zu spielen. Das Leben eben.

Hingegen habe ich mehrmals intersektionale Queer Awakenings erlebt, die ich im Nachhinein begriffen habe. Nach der Lektüre von „Die Rückkehr nach Reims“ von Didier Eribon ist mir bewusst geworden, dass mein Ich-Schwul-Sein eine Rolle in meinem Bestreben, etwas anderes zu werden als das, wozu mich der Determinismus der sozialen Reproduktion trieb, gespielt hat. Tatsächlich fühlte ich mich hingezogen, andere Sphären zu betreten, um meinesgleichen zu begegnen.

Ich verspürte die Notwendigkeit, die widersprüchliche Vielfalt meiner verwobenen Identitäten zu verstehen und sie miteinander in Einklang zu bringen. Das war sinnlos.

Damals, weder in der Gay-Szene noch in anderen subkulturellen Räumen, konnte ich ein Gefühl von kompletter Zugehörigkeit spüren. Egal in welchen sozialen Gruppen ich mich befand, tauchten ausnahmenlos Unterdrückungsmechanismen auf. Es gab kein meinesgleichen, sondern das ewige Ballett von Zuschreibungen und Selbstbestimmungen. Immer wieder beobachtete ich, wie sich die sozialen Interaktionen in binären sozialen Gegensätzen neu definieren ließen. Allerdings: Jede erlebte Diskriminierung in einem bestimmten Kulturkreis ermöglichte es meinem Verstand, mich gegen Unterdrückungen und Mikroaggressionen anderer sozialen Gruppen zu wappnen.

Nehmen wir das Beispiel der Sprache, die über ihre kommunikative Funktion hinaus auch ein strukturierendes Element der Kultur ist. In der Tat kann sie ein Instrument der Stigmatisierung oder eine Zuweisung für soziales Prestiges sein. So half mir die Verve der jugendlich ätzenden Gossensprache der multikulturellen urbanen Welt meines Quartiers, Barbès, sowohl die (un)bewusst rassistisch geprägten Sprüche als auch die ironisch ausgrenzende Schlagfertigkeit der dominierenden weißen Männer der Queer-Community abzuwehren. So half mir der schamlose schwarze Humor der Queer-Szene, mich von meiner Scham über meine proletarische Sprache zu befreien. So half mir die schamlose Kühnheit der Sprache meiner Klasse, fremde Sprachen schamlos mit Akzent und Fehlern zu sprechen. Alle diesen Facetten meiner Identität unterstützen mich bei der Navigation in einer Gesellschaft, deren Normen und Abweichungen ständig verhandelt werden. Man könnte diese Anpassungsfähigkeit als Verstellung wahrnehmen, aber ich würde es als soziale Performativität der Vielfältigkeit eines Individuums bezeichnen.

Mittlerweile war meine PoC-Queer-Identität ein Vorteil bei meiner D&I-Beratungsarbeit mit der Agentur Ozecla in Frankreich, um Unterdrückungsmechanismen und die verzerrenden Filter der Menschen zu dekonstruieren.

Es kam häufig vor, dass in weißen feministischen Milieus die Wechselhaftigkeit der sozialen asymmetrischen Dynamiken in Bezug auf die Verteilung der Machtverhältnisse aufzuklären war. Insofern, als das weiße Frauen darauf hinzuweisen waren, dass sie gegenüber einem Queer schwarzen Mann aufgrund ihrer dominierenden weißen heteronormativen-cisgender Identitäten Unterdrückungsformen ausüben könnten.

Es erfordert viel Resilienz von mir, die Abwehrmechanismen einer unterdrückten Gruppe zu ertragen, wenn ich sie über ihre eigenen Unterdrückungsmechanismen aufkläre. Dieses Phänomen begegnet mir immer wieder in den letzten Jahren auch in Deutschland – sowohl bei meiner D&I-Arbeit in der Queer-Community als auch während meines Engagements in meiner Hauptbeschäftigung. Es ist eine belastende Herausforderung, die gesellschaftlichen Mechanismen von Rassismus, Queer-Feindlichkeit und Sexismus aufzudecken und zu denunzieren. Aber als schwarzer Queer-Mann mit intersektionalen Ansichten kann ich nicht anders.

Lieber Bakry, vielen Dank für YourStory!