Im Gespräch mit… Jens Schadendorf
„Auch Rom wurde nicht an einem Tag erbaut.“
Jens Schadendorf ist Ökonom, Global Book Consultant und daneben Autor sowie freier Diversity-Forscher am Lehrstuhl für Wirtschaftsethik der TU München.
Zuvor war er als Buchverleger lange Programmleiter, u.a. bei SpringerGabler, Econ und Herder, und verantwortete viele Bestseller, u.a. von Jack Welch, Dalai Lama, Elie Wiesel, Bill Clinton, Michael Porter, Don Tapscott sowie Hans-Werner Sinn, dessen Lektor er bis heute ist.
Zahlreiche Auszeichnungen und Veröffentlichungen, darunter “Der Regenbogen-Faktor. Schwule und Lesben in Wirtschaft und Gesellschaft”, Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Hamburg und Fribourg sowie – mit einem Stipendium des Schweizer Nationalfonds – in Singapur und Bangkok.
Herr Schadendorf, mit Ihrem Buch „Der Regenbogen-Faktor“ haben Sie vor ein paar Jahren viel Resonanz in Medien, Unternehmen und Unis erfahren. Es schien, als sei der Business Case vielen noch nicht bewusst gewesen. Sie schreiben jetzt wieder an einem Buch zu LGBTI*IQ im Arbeitskontext. Hat sich aus Ihrer Sicht etwas verändert?
Jens Schadendorf: Ja. Wobei ich hier zunächst sagen will: „Der Regenbogen-Faktor“ bezieht sich auf Deutschland, und dort zu etwa zwei Dritteln auf die Wirtschaft. Mein neues Werk, das nächstes Jahr auf deutsch und englisch erscheinen wird und für das ich gerade bis nach Ostasien, Südafrika, Nordamerika, Moskau, Rom, Paris oder Amsterdam unterwegs bin, hat den ausschließlichen Fokus „Global Business“. Für den deutschsprachigen Raum gilt in der Tat: Die Sensibilität für den Business Case LGBT*IQ ist gewachsen. Allerdings ist zugleich zu differenzieren: Die Unternehmen etwa sind deutlich weiter als vor vier, fünf Jahren, aber doch auf sehr unterschiedlichen Niveaus unterwegs. Nur weil man zum Beispiel im Juni für ein, zwei Wochen eine Regenbogen-Flagge über dem Firmensitz hisst oder es den MitarbeiterInnen ermöglicht, bei einem CSD-Umzug im Firmen-T-Shirt mit Rainbow-Logo mitzulaufen, hat man nicht zwingend verstanden, welchen Chancen im Business Case LGBT*IQ liegen. Dennoch ist beides auch ein guter Anfang, um Sichtbarkeit, Bewusstsein und Wertschätzung für LGBT*IQ und den Business Case dazu zu verbessern oder gar erst anzustoßen. Global operierende „Corporates“ sind in diesem Prozess in Deutschland viel dynamischer unterwegs als noch vor einem halben Jahrzehnt, auch wenn es bei ihnen nach wie vor Defizite gibt. Aber, wie heißt es so schön: Auch Rom wurde nicht an einem Tag erbaut.
Wichtig für den nächsten Entwicklungssprung wäre u.a., mehr aktive geoutete „Role Models“ auch an der Spitze zu haben. Ich weiß, wie sich das anfühlt – ich war selbst viele Jahre erst in der dritten, dann in der zweiten und schließlich in der ersten Führungsebene unterhalb der Geschäftsleitung angesiedelt. Geoutet. Deutsche LGBT*IQ Top-Dogs sind in dieser Hinsicht leider insgesamt, gemessen an ihren englischsprachigen Kollegen jedenfalls, eher zurückhaltend. Bei allem Verständnis für legitime Karriereziele und unterschiedliche persönliche Wege zum Glück: Mich ärgert das. Wem – als Top LGBT*IQ – viele Talente und Chancen gegeben sind, der muss über Macht, Status und Geld hinauswirken lernen. Oder er bzw. sie steht für das gleiche „Eliten-Versagen“, das heute – nicht selten zu Unrecht – beklagt wird. Was ist das für ein Leben, in dem man für alles den Preis, aber nicht den Wert kennt? Klingt das zu „moralisch“ oder zu „schwer“? Unsinn. Feiern lassen sich Arbeit und Leben trotzdem.
„Was ist das für ein Leben, in dem man für alles den Preis, aber nicht den Wert kennt? Klingt das zu „moralisch“ oder zu „schwer“? Unsinn. Feiern lassen sich Arbeit und Leben trotzdem.“
PROUT AT WORK wird im Wesentlichen von Unternehmen unterstützt. Sie haben unsere Stiftung 2017 sowohl durch eine Spende als auch durch eine Zustiftung gefördert – vielen Dank dafür! Wieso war Ihnen das ein Anliegen? Warum ist es Ihrer Ansicht nach wichtig, dass auch Privatpersonen die Ziele von PROUT AT WORK finanziell unterstützen?
Jens Schadendorf: Als bodenständiger Hamburger und als im Ausland zur Rationalität „erzogener“ Wirtschaftswissenschaftler neige ich nicht zur Übertreibung. Allerdings lasse ich mich auch gerne begeistern. Und ich finde die Idee, für die die PROUT AT WORK Foundation steht, großartig. Sie sucht in Deutschland ihresgleichen. Auch ist mir bekannt, dass der Weg zur Stiftung kein einfacher war. Dass er gegen alle Widrigkeiten gegangen und die PROUT AT WORK Foundation 2013 gegründet werden konnte, weiß ich daher sehr zu schätzen. Wie ich überhaupt jegliches unternehmerisches Handeln, das bereit ist, Risiken einzugehen, um etwas „Sinnvolles“ zu befördern, unterstütze. Und dies umso mehr, wenn es sich – wie bei Stiftungen – auf die Verbesserung „gesellschaftlicher Zustände“ bezieht. Genau das will ja PROUT AT WORK auch, nämlich: „dass die Arbeitswelt offen ist für alle Menschen, unabhängig von deren sexueller Orientierung, geschlechtlicher Identität, dem geschlechtlichen Ausdruck oder geschlechtlicher Eigenschaften/Merkmale.“ So jedenfalls steht es auf der Website und so ähnlich steht es in den Regularien der Stiftung.
Ich bin, wie gesagt, selbst schwul. Und ich war und bin in der Arbeitswelt ökonomisch und auch sonst recht erfolgreich, früher als angestellter Buchverleger und heute als selbstständiger Global Book Expert und Publizist. Es mag altmodisch klingen, aber das ist mir egal: Ich kann durch mein Wirken als Buchautor zu LGBT+-Business-Themen etwas zurückgeben an die Gesellschaft, die mir einiges ermöglicht hat. Und das gleiche will ich – auf ganz andere Weise – durch mein privates Stiftungsengagement bei PROUT AT WORK tun. Jeder muss selbst wissen, wie er sein Leben lebt und wie er für das einstehen will, was ihm wichtig ist. Aber vielleicht ermuntere ich durch mein Handeln ja auch andere, es mir nach zu tun.
„PROUT AT WORK bündelt aktuelle und relevante LGBT+IQ Informationen, bereitet sie auf, vernetzt, berät, ermöglicht wechselseitiges Lernen – als Stiftung und damit über alle Institutionen hinweg.“
Wie sehen Sie die Rolle von Organisationen wie PROUT AT WORK?
Jens Schadendorf: Sie ist sehr zentral. Das eine sind ja die Aktivitäten zum Thema LGBT*IQ von Unternehmen oder anderen Institutionen. Das andere aber ist das, was PROUT AT WORK leistet: überorganisationelle Pressearbeit und Durchführung von Veranstaltungen zum Abbau von Homophobie und Diskriminierung im Arbeitsumfeld, die Beauftragung von Studien über Diskriminierung und Homophobie im Joballtag, die Veröffentlichung von Ratgebern und Infomaterial zum Nutzen einer wertschätzenden diskriminierungsfreien Kultur im Job oder die Zusammenarbeit mit ausländischen Vereinigungen und Verbänden vergleichbarer Zielsetzung.
All dies kann kein einzelnes Unternehmen auf den Weg bringen. PROUT AT WORK bündelt aktuelle und relevante LGBT*IQ-Informationen, bereitet sie auf, vernetzt, berät, ermöglicht wechselseitiges Lernen – als Stiftung und damit über alle Institutionen hinweg. „For a higher good“ sozusagen. Und zugleich zum Nutzen von Unternehmen und Organisationen, von Führungskräften und Mitarbeitenden. Denn LGBT*IQ Diversity Management weist ja – wie Studien belegen – weit über den Diskriminierungsschutz für sogenannte sexuelle Minderheiten hinaus. Es fokussiert vielmehr vor allem auch auf die mit ihm zu befördernden ökonomischen Chancen und Potentiale – für alle Beteiligten. Dass das Bewusstsein für diese Zusammenhänge unterfüttert und gestärkt wird: Dafür stehen nicht zuletzt die Aktivitäten von PROUT AT WORK, vorangetrieben von ihren Initiatoren und Machern Albert Kehrer und Jean-Luc Vey.